Der Weiblichkeit auf der Spur

Gebärmutter. Eierstöcke. Cellulite. Ur-Frau, Hexe, Amazone. Ist das wirklich weiblich? Um Missverständnisse gleich vorwegzunehmen: Im Folgenden geht es nicht um Männer, die so sind, und Frauen, die anders sind, sondern um männlich und weiblich, zwei Pole, die jeder Mensch braucht und in sich trägt.

Oder Yin und Yang. Für mich ist dieser Ansatz, der energetische, sehr überzeugend. In diesem Sinne ist Weiblichkeit nämlich das Sein, Empfangen und Fühlen. Das Ankommen in sich selbst und Wahrnehmen aller Anteile, egal ob hell, dunkel, schwach oder stark. Dieses So-Sein wird in unserer Gesellschaft wenig geschätzt, weil unser Leben weitgehend auf der männlichen Energie, dem Tun, aufgebaut ist. Handeln wird belohnt, Nichtstun, wenn nicht geächtet, so doch missgünstig beäugt. Denn was entsteht aus dem Nichtstun? Hinsehen und Reflexion. Wenn wir also im Sein, bei uns angekommen sind, fühlen wir nicht nur unsere hellen, sondern auch all unsere dunklen Anteile. Macht das jemand freiwillig? Nein.  Weil es uns abtrainiert wurde, sie zu akzeptieren. Wir optimieren lieber an uns herum und rennen leistungsgetrieben durch die Gegend, um uns nicht zu spüren.

 

Lilith & Adam

 

Wir alle wissen, dass in den vergangenen Jahrhunderten die männliche Energie on top war und die weibliche unterdrückt wurde. Allein schon die Sage um Lilith und Adam spricht Bände: Jüdischen Erzählungen zufolge war Lilith Adams erste Frau; beide aus derselben Erde erschaffen. Lilith sieht sich als gleichberechtigt, Adam ist da anderer Meinung. Letztlich erkennt Lilith ihren Partner nicht als ihren Herren an und verabschiedet sich aus dem Paradies. Gott stellt Adam schließlich Eva an die Seite. Sie ist aus Adams Rippe geboren und hat daher keine Probleme, sich unterzuordnen. Lilith ist forthin verdammt, als kinderfressende Dämonin und todbringende Verführerin ihr Leben zu fristen. Ob sie Freude dabei hatte, wurde nicht überliefert.

 

Weiblichkeit steht für das Gefühl

Dabei wäre es interessant zu wissen, wie sie sich gefühlt hat. Denn die Weiblichkeit steht für das Gefühl schlechthin. Die Welt, in der wir leben, ist nicht so heiß aufs echte Gefühl. Ein wenig Gefühl, okay. Aber echte Gefühle zeigen, sich Neid zuzugestehen, Hass vielleicht, Scham, Groll, Verzweiflung – ja, und wahre Liebe – ist für viele eine untragbare Schwäche. Verletzlich sein. Oh no, pfui! Erinnert sich jemand an die entscheidende Szene in „Das 5. Element“, als Korben Dallas Leeloo seine Liebe gestehen soll, um die Welt zu retten? Die Menschheit steht am Abgrund und selbst da bekommt er seine Gefühle nicht ausgedrückt. Eine gefühlte Ewigkeit ziert er sich, bis endlich das erlösende „Ich liebe dich“ wie ein Zauberspruch über seine Lippen hüpft.

 

Und womöglich ist es gerade jetzt angesagt, anzuerkennen, dass wir lieben und trauern und grollen und uns endlich zugestehen, dass wir Menschen sind und keine Zorgs oder Mangalores. Das könnte die Lösung sein, die die Welt derzeit braucht. Vielleicht geht es gerade jetzt, wo alles im Chaos zu versinken droht, gerade nur ums Spüren. Das Spüren unserer Dunkelheit. All die Schatten, all die vielen kleinen Liliths in uns, hätten uns so viel zu sagen: von Scham und Unterdrückung, von Angst und Verzweiflung, von Tod und Neugeburt.

 

Wir wollen Sonnenschein, keine Dunkelheit

Und klar wollen wir alle dort ums Verrecken nicht hinein, weil es sich anfühlt wie die Hölle. Wir sind es nicht gewohnt, unsere dunkle Seite wirklich wahrzunehmen. Wir wollen Sonnenschein. Nicht umsonst geht die Mondin in der Nacht auf und Bruder Sonne leuchtet untertags, wo alles hell ist und strahlt. Und so haben sich die Menschen gedacht: Nageln wir die Kellertür einfach zu. Doch Lilith will auch ans Licht, denn sie gehört zum Leben. Und sie hat enorme Kraft, denn im Exil hatte sie genug Zeit, um aufzutanken.

 

Für mich heißt das: Wenn ich meine weibliche Seite nicht gleichberechtigt in mein Leben einlade und feiere, bleibt nur das Laufen im Hamsterrad übrig. Und dann wird’s ungemütlich. Mein Körper stottert, ich fühle mich wie zerdrückt, erdrückt vom Alltag, bekomme keine Luft, meine Seele entfernt sich von mir, ich funktioniere, aber leben tue ich nicht. Ich finde, das erklärt einiges, was auf der Welt derzeit vor sich geht: Wir haben die Weiblichkeit, unser Gefühl, unser wahres Sein mit Füßen getreten und sie ins Verließ verbannt. Doch sie ist nach wie vor da. Mit einer ungeheuren Kraft. Sie wartet darauf, gesehen und geliebt zu werden. Wenn das nicht passiert, wenn wir nur die männliche Energie leben, entsteht ein immenses Ungleichgewicht.

 

Gaia & Uranus

Es gibt einen weiteren wundervollen Mythos, der genial beschreibt, wie die weibliche und die männliche Seite auseinandergedriftet sind: Der Mythos um Gaia und Uranus. Es gibt hiervon wohl einige Versionen. Die folgende habe ich vor einiger Zeit erzählt bekommen: Gaia, die Erde, und Uranus, der Himmel, liebten und verbanden sich. Ich stelle mir ihr Spiel bildlich vor: Wie zwei Urgewalten aufeinandertreffen, sich aufs Innigste liebend, lustvoll verschlungen, ineinander aufgehend, verschmelzend, saftig und unendlich.

 

Verbannen wir die Dämonen?

Natürlich entstehen aus dieser Verbindung viele Kinder: Tiere, Menschen, Bäume, Blüten – und auch Zyklopen, Dämonen, Gnome, Trolle. Uranus ist nicht stolz auf sie. Er will sie weghaben und verbannt sie in den Untergrund, tief hinab in die Erde, in die Dunkelheit. Als Gaia davon erfährt, wird sie wütend und stellt Uranus zur Rede. Wie kommt er nur dazu, ihre Kinder zu verbannen, einen Teil von sich in die Unterwelt zu schicken? So kommt es zum Bruch: Uranus trennt sich von Gaia und verabschiedet sich in den Himmel, ins Geistige. Gaia, das Fleisch, die Materie, die Gefühle, bleibt zurück. Sie repräsentiert das Weibliche, die Dunkelheit. Gaia ist aus Chaos geboren. Und – spannend – Uranus ist erst Gaias Sohn, bevor er ihr Geliebter wird. Uranus, das Männliche, ist also aus dem Weiblichen entstanden. Beide gehören zusammen. Doch Uranus entscheidet sich für die Trennung.

 

Diese Geschichte ist für mich ein Sinnbild der heutigen Zeit: Die Frauen, die sich ihren Gefühlen immer mehr stellen, immer tiefer tauchen, um ihre Seelenhaut an die Oberfläche zu bringen – und die Männer, die unglaubliche Angst davor haben, ihrer Dunkelheit ins Auge zu sehen. Denn: Wenn wir das tun, verlassen wir unsere sichere Zone. Wir wissen nicht, was dann kommt. Das Chaos vielleicht? Wir verlieren die Kontrolle, über uns und unsere Gefühle. Im Bett mag das heiß sein – doch im Alltag? Oh Mann, wer will im Alltag die Kontrolle verlieren?!? Niemand hat gelernt, wie es sich lebt ohne Kontrolle. Doch es funktioniert. 

 

Kontrolle funktioniert nicht

Es geht heute nicht mehr darum, etwas zu kontrollieren. Jeder, der sehenden Auges durch die Welt geht, weiß, wie Kontrolle endet. Das Leben wird eng, streng, humorlos, fruchtlos, trocken. Kontrolle funktioniert nicht. Jedenfalls nicht auf Dauer. Was es heute braucht, ist die Weiblichkeit. Das Hinschauen. Wie geht es mir wirklich? Welche Maske trage ich heute? Will ich das? Was ist mein tiefstes Bedürfnis? Und spätestens hier ist wohl jedem klar: Weiblichkeit ist alles andere als Schwäche. Weiblichkeit ist das kristallklare Bekenntnis, nicht mehr die Augen vor den eigenen Dämonen zu verschließen. Weiblichkeit ist der Mut, sich der eigenen Dunkelheit zu stellen. Und was dann? Versinken wir in Dunkelheit und Chaos? Niemals! Denn ein gesunder Same vergammelt niemals in der Erde und selbst die längste Wurzel fault selbst in zehn Metern Tiefe nicht. Ganz im Gegenteil: Leben entsteht aus der Dunkelheit.

 

Und wer hier ist, in der Dunkelheit, spürt seine Lebendigkeit, sein wahres Sein. Wer sich getraut hat, sich seinen Dämonen zu stellen, überlebt – entgegen aller Erwartungen. Was kommt dann? Enorme Macht steigt auf, von tief, tief, tief unten. Eine Welle aus Hitze steigt empor, die heiße Energie der Erde. Es ist wie Orkan, Erdbeben und Vulkanausbruch gleichzeitig. Die Macht der Weiblichkeit. Die eigene Macht. Sie ist größer als alles, was wir derzeit kennen. Die Macht, die heute auf der Erde gelebt wird, kommt aus dem Verstand, aus einer falsch verstandenen, getrennten Männlichkeit. Und die zerstört, weil sie getrennt ist von der Weiblichkeit, vom Sein, von der Seele. Die Macht der Gaia ist liebend, verbindend und tief mit der Materie verbunden. Sie ist nicht aufgesetzt und abgehoben, sondern erdig und lebendig, voller Blut und Saft, voller Süße und Würde.

 

Wie gehen wir mit dieser neuen Kraft um?

Und sie macht uns Angst. Wie gehen wir mit dieser neuen Kraft um? Wie lebt es sich in der Weiblichkeit, wo wir doch Jahrtausende nichts anderes kannten als die männliche Energie? Ich traue mich zu sagen: Wir alle haben eine Sehnsucht nach unserer wahren Weiblichkeit, unserer Essenz, haben eine Ahnung, wie es sein könnte – aber keine weiß es wirklich, weil es sich auch für jede von uns unterschiedlich anfühlt. Jede von uns lebt ihre Weiblichkeit anders. Und alles ist so neu. Wir können uns nur ins Abenteuer stürzen: Jeden Tag ein Stückchen mehr Weiblichkeit zulassen. Jeden Tag einen Schritt mehr hin zu unseren Gefühlen und einen Teil unserer Masken abpuhlen, so gut es eben geht. Babyschritte, wenn es sein muss, aber am Gehen führt kein Weg vorbei.

 

Wir brauchen jetzt die Weiblichkeit, um ins Lot zu kommen. Um ganz zu werden und unsere Sehnsucht nach echter Verbindung zueinander, nach Liebe und Mitgefühl in die Realität zu gebären. Den männlichen Teil, den haben wir gut integriert: das Tun, die Logik, die Struktur. Jetzt ist es Zeit für etwas Neues. Ich jedenfalls lechze danach. Lasst uns ein neues Kapitel aufschlagen und die Weiblichkeit in unser Leben tanzen, sie auf Augenhöhe mit der Männlichkeit leben. Denn das Ganze ist bekanntlich mehr als die Summe seiner Teile. Wir brauchen männlich UND weiblich, gleichberechtigt miteinander, um das mit dem Paradies endlich auf die Reihe zu bekommen.

 

Dieser Beitrag erschien erstmals im Indie-Magazin Séparée, für das ich seit einigen Ausgaben schreibe.

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